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Falsche Leiche an Israel zurückgegeben: Netanjahu wirft Hamas Waffenruhe-Bruch vor
Die Hamas hat nach Angaben des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu statt der deutsch-israelischen Geisel Shiri Bibas die Leiche einer Frau aus dem Gazastreifen an Israel übergeben. "Mit einem unvorstellbaren Zynismus haben sie nicht Shiri zusammen mit ihren kleinen Kindern (...) übergeben und haben die Leiche einer Frau aus dem Gazastreifen in den Sarg gelegt", sagte Netanjahu am Freitag. Er warf der Hamas eine "grausame und perverse Verletzung" des Waffenruheabkommens vor.
Die radikalislamische Palästinenserorganisation werde dafür einen "schweren Preis" zahlen, drohte Netanjahu in einer Videobotschaft. "Wir werden entschlossen handeln, um Shiri nach Hause zu bringen." Zuvor hatte auch Armeesprecher Avichay Adraee von einer "schweren Verletzung" des Abkommens gesprochen.
Ein Vertreter der Hamas sagte der Nachrichtenagentur AFP, Bibas' Leiche sei wahrscheinlich "versehentlich mit anderen verwechselt worden, die unter Trümmern gefunden wurden". Die Gruppe untersuche diesen "möglichen Fehler" und werde die Vermittler der Waffenruhe über die Ergebnisse unterrichten, teilte die Hamas zudem in einer Erklärung mit.
Die "Drohungen" Netanjahus wies die Hamas zurück. Die Palästinenserorganisation beteuerte ihre "Ernsthaftigkeit und ihr volles Engagement" bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen im Rahmen der Waffenruhe. Die Gruppe habe "kein Interesse daran, deren Einhaltung zu verweigern oder Leichen zurückzuhalten". Die Hamas rief Israel zudem dazu auf, die Leiche der Frau aus dem Gazastreifen zurückzugeben.
Die Hamas hatte Donnerstag vier Leichen an Israel übergeben. Dabei sollte es sich neben Shiri Bibas um ihre beiden kleinen Söhne sowie den 83-jährigen Oded Lifshitz handeln. Der Leichnam von Lifshitz wurde nach der Übergabe bereits am Donnerstag identifiziert. Am Freitag bestätigte die israelische Armee dann auch, dass es sich bei den zwei Kinderleichen um Kfir und Ariel Bibas handele. Die forensischen Untersuchungen ergaben demnach jedoch, dass die vierte Leiche nicht Shiri Bibas war.
Netanjahu rief die "gesamte zivilisierte Welt" auf, die "schrecklichen Morde" an Kfir und Ariel Bibas zu verurteilen. "Ich schwöre, dass ich nicht ruhen werde, ehe diese Wilden, die unsere Geiseln hingerichtet haben, zur Rechenschaft gezogen werden", sagte er.
Das Forum der Geisel-Familien zeige sich "entsetzt und erschüttert" darüber, dass Shiri Bibas nicht zusammen mit den Leichen ihrer Söhne übergeben worden sei, "trotz der Vereinbarung und unser verzweifelten Hoffnungen".
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte ebenfalls die Rückkehr von Shiri Bibas nach Israel. "Unsere Gedanken sind bei Familie Silbermann-Bibas, die Abschied von Ariel und Kfir nehmen muss, aber weiter um Shiri bangt - auch sie muss zurückkehren, die Hamas muss sie freigeben", schrieb er im Onlinedienst X.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach dem Ehemann Jarden Bibas sein Beileid aus. "Nachdem Sie selbst freigelassen wurden, hofften wir mit Ihnen auf eine weitere gute Nachricht und darauf, dass Ihre Frau und Ihre beiden Kinder ebenfalls noch leben und freigelassen würden", erklärte er. "Umso mehr sind auch wir jetzt schockiert von der Gewissheit, dass Ihre beiden Kinder getötet wurden. (...) gleichzeitig quält auch uns die Ungewissheit über das Schicksal Ihrer Frau."
Jarden Bibas war getrennt von seiner Familie entführt und im Gazastreifen festgehalten worden, er kam am 1. Februar frei. Der Sohn Kfir Bibas war zum Zeitpunkt der Entführung neun Monate alt, sein Bruder Ariel vier Jahre. Die Brüder waren die letzten Kinder, die nach ihrer Entführung noch in der Gewalt der Islamisten im Gazastreifen waren.
Die Entführer hatten den Moment damals per Video festgehalten. Die Bilder der beiden rothaarigen Jungen im Arm ihrer verzweifelten Mutter wurden in Israel zu einem Symbol für den brutalen Angriff der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation und mit ihr verbündeter Gruppierungen.
Bislang sind auch die Umstände ungeklärt, unter denen Kfir und Ariel starben. Der israelischen Armee zufolge ergaben Untersuchungen von Behörden und geheimdienstliche Informationen, dass die Brüder "im November 2023 von palästinensischen Terroristen in Geiselhaft brutal getötet wurden". Die Hamas hatte zuvor erklärt, die beiden Kinder und ihre Mutter seien im November 2023 bei einem israelischen Luftangriff getötet worden.
Die Rückführung der Leichen ist Teil der ersten Phase einer Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die am 19. Januar in Kraft getreten war. Im Zuge der ersten Phase wurden bislang 19 lebende israelische Geiseln im Austausch gegen mehr als 1100 palästinensische Häftlinge freigelassen. Insgesamt sollen in dieser Phase 33 Geiseln freigelassen werden, von denen nach israelischen Angaben acht tot sind.
Für Samstag ist die Freilassung von sechs weiteren lebenden Geiseln geplant. Der bewaffnete Arm der Hamas, die Al-Kassam-Brigaden erklärte am Freitag, dass die Übergabe wie geplant stattfinden werde. Vier weitere Leichen sollen zudem kommende Woche übergeben werden. Nach Angaben der palästinensischen Häftlingsvereinigung sollen im Gegenzug am Samstag 602 Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen werden.
Z.Bianchi--IM