Scholz drängt Putin zu Verhandlungen mit Ukraine - Kiew kritisiert Telefonat
Erstmals seit fast zwei Jahren hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Er habe den Kreml-Chef aufgefordert, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen und Friedensverhandlungen mit Kiew aufzunehmen, erklärte Scholz im Onlinedienst X. Der Kreml erklärte, ein Abkommen könne es nur geben, wenn Kiew die "neuen territorialen Realitäten" anerkenne. Die Ukraine übte scharfe Kritik an dem Telefonat und warf Scholz vor, Putin in die Hände zu spielen.
Scholz schrieb auf X, er habe Putin aufgerufen, "den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. "Russland muss Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ukraine zeigen - mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens", fügte er hinzu. Scholz und Putin hatten zuletzt am 2. Dezember 2022 miteinander telefoniert. Gut neun Monate zuvor hatte Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet.
Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte Scholz in dem Gespräch "die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen".
Putin pochte nach Kreml-Angaben in dem Telefonat mit Scholz darauf, dass ein mögliches Abkommen zur Beendigung des Ukraine-Konflikts die "neuen territorialen Realitäten" widerspiegeln müsse. "Mögliche Vereinbarungen sollten die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation berücksichtigen, von den neuen territorialen Realitäten ausgehen und vor allem die eigentlichen Ursachen des Konflikts angehen", erklärte der Kreml.
Zu den Vorbedingungen Moskaus für Verhandlungen gehört unter anderem, dass die Ukraine vier ihrer südlichen und östlichen Regionen aufgibt, die Russland annektiert hatte, ohne diese jedoch vollständig zu kontrollieren. Kiew lehnt dies entschieden ab. Zudem wehrt sich Russland seit Langem gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Die Initiative für das Gespräch sei von deutscher Seite ausgegangen, erklärte der Kreml.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Scholz vor, mit dem Telefonat die "Büchse der Pandora" geöffnet zu haben. "Das ist genau das, was Putin seit langem will: Es ist extrem wichtig für ihn, seine Isolation zu schwächen", erklärte Selenskyj in Onlinediensten. Er bestätigte, dass Scholz ihn vorab über das Telefonat informiert habe.
Das Außenministerium in Kiew erklärte, nötig im Umgang mit Putin seien "konkrete und starke Aktionen, die ihn zum Frieden zwingen, und nicht Überzeugungsarbeit und Appeasement-Versuche, die er als Zeichen der Schwäche sieht und zu seinem Vorteil nutzt".
Aus Regierungskreisen in Berlin hieß es, Scholz habe gegenüber Putin ausdrücklich "die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine" verurteilt. Der Kanzler habe zudem betont, dass keines der russischen Kriegsziele erreicht worden sei.
Der "Süddeutschen Zeitung" sagte Scholz, er habe in dem Telefonat keine Hinweise darauf erhalten, dass der künftige US-Präsident Donald Trump gemeinsam mit Putin versuchen könnte, ein Friedensabkommen über den Kopf der Ukraine hinweg zu schließen. Scholz und Putin vereinbarten nach den Angaben aus Regierungskreisen, "in Kontakt zu bleiben".
Hintergrund sind Befürchtungen, dass Trump die milliardenschweren US-Militärhilfen für Kiew kürzen und sich mit dem Kreml-Chef auf einen Frieden zum Nachteil der Ukraine einigen könnte. Für ihn gelte weiterhin der Grundsatz, dass "nichts über die Ukraine ohne die Ukraine entschieden" werden dürfe, betonte Scholz. Der polnische Regierungschef Donald Tusk begrüßte diese Haltung. Dies entspreche der polnischen Position.
Die militärische Lage der Ukraine hatte sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Moskaus Soldaten rücken unter anderem in der ostukrainischen Region Donezk vor und melden von dort regelmäßig die Einnahme von Ortschaften. Die Führung in Kiew räumt ein, dass die Lage im Osten schwierig sei und fordert von den westlichen Verbündeten mehr Unterstützung und weitreichendere Waffen.
Zuletzt kam hinzu, dass tausende nordkoreanische Soldaten nach westlichen Angaben in der von der Ukraine besetzten russischen Region Kursk an der Seite der russischen Armee kämpfen. Scholz machte in seinem Telefonat mit Putin am Freitag deutlich, dass damit "eine gravierende Eskalation und Ausweitung des Konflikts verbunden" sei, wie es aus Regierungskreisen in Berlin hieß.
Putin hat seit 2022 kaum mit Staats- und Regierungschefs aus Nato- und EU-Staaten gesprochen, nachdem der Westen wegen des Überfalls auf die Ukraine massive Sanktionen gegen Russland verhängt hatte. Russische Regierungsvertreter beschuldigen westliche Staaten regelmäßig, einen "Krieg" gegen Moskau zu führen und verurteilen die Unterstützung des ukrainischen Militärs mit Waffenlieferungen.
P.Conti--IM