Putin vollzieht durch Ukraine-Invasion radikalen Bruch mit dem Westen
Europa wird von einem der größten militärischen Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg erschüttert. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ am Donnerstag die russische Armee in die Ukraine einmarschieren und vollzog damit einen radikalen Bruch mit dem Westen. Russische Bodentruppen rückten aus mehreren Richtungen in das Nachbarland ein, später entbrannten bereits heftige Kämpfe nahe der Hauptstadt Kiew. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte Putin vor Angriffen noch auf weitere osteuropäische Länder.
Zahlreiche Städte und Militäranlagen in der Ukraine wurden von russischen Raketen beschossen, Bodentruppen rückten von Belarus im Norden sowie vom Süden und Osten in das Land ein. Russische Truppen eroberten laut ukrainischen Angaben nach heftigen Kämpfen unter anderem einen Militärflugplatz nahe Kiew und den 1986 schwer verunglückten Atomreaktor von Tschernobyl im Norden des Landes.
Dutzende Menschen wurden am ersten Tag der Invasion getötet. Das US-Verteidigungsministerium sprach vom größten Einmarsch konventioneller Truppen in einen anderen Staat seit dem Zweiten Weltkrieg. Putins Ziel sei es, eine pro-russische Regierung in Kiew zu installieren, sagte ein Pentagon-Vertreter.
Putin hatte die Militäroffensive in einer Fernsehansprache in der Nacht zum Donnerstag angekündigt und mit einem angeblichen "Völkermord" der ukrainischen Truppen an der russischsprachigen Bevölkerung im Osten des Landes begründet. Wenig später waren dann Explosionen unter anderem in Kiew, der Hafenstadt Mariupol, in der Schwarzmeerstadt Odessa und in der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw zu hören.
Mindestens 68 Menschen wurden laut ukrainischen Angaben in den ersten Stunden der Invasion getötet, darunter sowohl Soldaten als auch Zivilisten. Die ukrainische Armee erklärte zudem, sie habe in der Ostukraine rund "50 russische Besatzer" getötet.
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, die russische Armee habe mehr als 70 militärische Ziele in der Ukraine zerstört, darunter elf Flugplätze. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte das Kriegsrecht über das Land. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko erließ eine nächtliche Ausgangssperre.
Die Nato aktivierte ihre Verteidigungspläne. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte nach einer Dringlichkeitssitzung der 30 Nato-Botschafter, damit könne im Notfall auch die Eingreiftruppe Nato Response Force (NRF) eingesetzt werden, um Mitgliedsländer zu schützen. Sie umfasst bis zu 40.000 Soldaten. Es gebe jedoch "keine Pläne, Nato-Truppen in die Ukraine zu entsenden", sagte Stoltenberg. Für Freitag berief das Militärbündnis einen Krisengipfel ein.
Kanzler Scholz warnte Putin vor Militärangriffen gegen osteuropäische Nato-Staaten. Die westlichen Partner seien sich "einig, dies mit all uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern", sagte Scholz in einer Fernsehansprache. Putin solle "die Entschlossenheit der Nato nicht unterschätzen, alle ihre Mitglieder zu verteidigen".
Zuvor hatte Scholz den russischen Angriff bereits als "eklatanten Bruch des Völkerrechts" verurteilt. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem "Tag der Schande". "Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht", sagte sie.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem "Wendepunkt in der europäischen Geschichte". Die G7-Gruppe führender Industriestaaten bezeichnete in einem gemeinsamen Statement den russischen Angriff als "ernste Bedrohung" für die internationale Ordnung.
US-Präsident Joe Biden erklärte, Putin habe sich "für einen vorsätzlichen Krieg entschieden, der zu einem katastrophalen Verlust an Leben und zu menschlichem Leid führen wird". Er warnte, die Welt werde "Russland zur Verantwortung ziehen".
Die EU kündigte an, umgehend verschärfte Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in Brüssel, sie werde den am Abend beratenden Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer ein weiteres Paket "massiver und gezielter Sanktionen" vorschlagen.
Die EU rechnet mit einer hohen Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine. Von der Leyen sagte, mit allen östlichen Mitgliedstaaten seien "Notfallpläne" für die Aufnahme von Ukrainern vereinbart worden.
J.Romagnoli--IM